Welche Zukunft haben Open-Source-Webapplikationen?

Einige Open-Source-Webapplikationen dominieren das Web – aber wie kommen kleinere Projekte zurecht?

Nach eigenem Bekunden sind weltweit mehr als 20 Prozent aller Webseiten mit WordPress realisiert. Manche Analysten kommen auf noch höhere Werte. WordPress ist der Prototyp einer Anwendung für Webserver, die unter einer quelloffenen Lizenz steht und sich mit der weitverbreiteten Serverzusammenstellung Linux, Apache, MySQL und PHP -ebenfalls alles unter quelloffenen Lizenzen verfügbar – begnügt.

Portfolio von Content Management Systemen nach w3techs
Analyse von w3techs.com: So sind diverse Webanwendungen zur Publikation von Inhalten im Web positioniert.

Ursprünglich war WordPress als Anwendung gedacht, mit der man sein Onlinetagebuch führt, das Weblog oder Blog. Heute ist WordPress im Grunde eine Plattform, die man als Content Management System nutzen kann, zum Onlineshop oder Social Network ausbauen kann. Erweiterungen, die sogenannten Plugins machen fast alles möglich.

Dadurch dass die Quellcodes für jedermann offen sind, kann im Prinzip jeder mitprogrammieren und beispielsweise Plugins oder Themes beisteuern. Themes legen das Aussehen der Website fest. Für kein anderes System dürfte es so viele Erweiterungen und Vorlagen geben.

So wie WordPress haben sich einige andere Systeme entwickelt. In diese Aufzählung gehören Joomla, Drupal und das besonders in Deutschland recht verbreitete TYPO3. Doch nicht nur Anwendungen für das Content Management waren gefragt, sondern zum Beispiel auch Software, mit der man Foren betreiben kann, Gästebücher oder Besucherzählungen ermöglicht. Daneben gibt es viele Tools, die unter einer quelloffenen Lizenz verfügbar sind.

Boomphase: So wurden Open-Source-Anwendungen bedeutsam

In einer Zeit um da Jahr 2000 herum wuchs die Anzahl der Seiten im World Wide Web rasant an. Privatleute, Firmen, Vereine, alle drängten ins Netz. HTML war als die „Sprache des Web“ formuliert, eine Auszeichnungssprache, die hübsche Onlinedokumente hervorbringen kann, doch Abläufe und Interaktionen sind mit HTML nicht möglich. Schon an einer einfachen Zahlenaddition scheitert HTML.

Solche Operationen musste der Rechner bewerkstelligen, auf dem die Webseiten beherbergt waren. Zwar sind solche gelegentlich abzuarbeitenden Aufgaben kein Problem für einen Rechner, der als Server eingesetzt wird. Wenn jedoch Tausende oder Zehntausende User gleichzeitig eine Rechenoperation ausführen lassen wollen oder eine Suche, wird die Auslieferung der Resultate immer langsamer. Zudem mussten Mechanismen geschaffen werden, um Usereingaben von der Webseite an den Server zu übermitteln, der die Ausgabe zurückgibt, um diese in einem HTML-Dokument zu integrieren.

Mit PHP vereinfachte sich die Sache. Aus einer einfachen Sammlung an „Personal Homepage Tools“ entstand eine leistungsfähige Programmiersprache, deren Quellcode sich nahtlos in HTML-Dokumente integrieren lassen konnte.

Abgerundet wurde die Funktionsvielfalt durch die Möglichkeit, strukturierte Daten in einer Datenbank speichern zu können. MySQL bot dafür ein quelloffenes Datenbanksystem. Mit PHP, später zu „Hypertext Pre-Processor“ weiterentwickelt, konnten Programmierer komplexere Systeme aufbauen, wie etwa WordPress, Joomla, TYPO3, Drupal sowie Boards, Foren, Kundenkontaktmanagementsysteme.

Diese Anwendungen standen unter offenen Lizenzen. Jedermann konnte den Code verwenden – und viele Programmierer, oft Hobbyisten und Do-it-yourselfer taten dies auch. Nicht, um die Software weiter zu entwickeln, sondern, einfach um sie zu nutzen, auch wenn an der einen oder anderen Stelle Anpassungen gemacht wurden.

Auch wenn die Anzahl der bloßen Nutzer überwog, so waren doch viele Programmierer motiviert, für ihre Lieblingsanwendung Funktionen zu schreiben und in der Entwicklercommunity mitzuwirken.

Entwicklung Registrierzahlen de Domains Quelle Denic
Das Internet ist seit der Jahrtausendwende schnell gewachsen. Das spiegelt sich in der Zahl der registrierten Domains wider (Quelle: denic.de)

Viele Open-Source-Projekte sind mittlerweile tot oder scheintot – was ist passiert?

Leistungsfähige Webanwendungen, die zudem auch noch stark nachgefragt waren, entwickelten sich rasant weiter. Weil ihre Verbreitung stieg, sprangen Unternehmen auf und entwickelten Lösungen für allerlei Aufgaben, sei es, um der Website ein einzigartiges Aussehen zu geben oder einen Onlineshop anzubinden.

Das Web verändert sich. An die Ersteller von Webseiten wurden immer höhere Anforderungen gestellt. Arbeitsteilung war unerlässlich. Es bildeten sich Gruppen von Fachleuten heraus. Für ehrenamtlich tätige Mitarbeiter, die tagsüber in der Firma bezahlte Jobs erledigten und nach Feierabend in der Community mitprogrammierten konnten nur noch auf kleinern Inseln Fachwissen einbringen. Zudem begannen sich auch viele zu fragen, wofür und für wen sie eigentlich die ganze Programmierarbeit leisten.

Es zeigte sich, dass oft die Spenden nicht so flossen wie es nötig wäre, um das Projekt am Leben zu erhalten. Die Leute sprangen ab, mussten sich dann stärker um Familien- und Karriereangelegenheiten kümmern und standen nicht mehr zur Verfügung.

Für Projektgruppen, die es nicht schafften, genug Know How, das auf viele Leute verteilt war, zu bündeln und bei der Stange zu halten, wurde die Luft dünn.
So verkamen viele Webapplikationen zu Zombies. Immer dann, wenn eine Weiterentwicklung ansteht, weil PHP auf eine neue Version springt, zeigt sich, wie gut oder schlecht eine Projektgruppe noch Ressourcen mobilisieren kann.

Oft gelingt das nicht mehr, erst recht nicht, wenn das Projekt als solches den Sinn verliert. Prominente Opfer dieser Entwicklung waren Onlinechats wie der Aerial Chat mit der letzten Version aus 2004. Mittlerweile gehören auch Forensysteme zu den bedrohten Arten. Das Userverhalten ändert sich eben auch mit der Entwicklung, die das Web nimmt. Social Media Plattformen haben einen Teil obsolet gemacht. Eine andere einschneidende Entwicklung war der Trend zu kleinen Bildschirmen auf mobilen Endgeräten.

Zu den Projekten, die diese Entwicklungen in die eigene Produktphilosophie aufnahm, gehörte WordPress. Der Bedarf nach einer solchen Lösung war immer noch groß. Bei anderen System wie Joomla, Drupal oder auch TYPO3 hatte man lange den Eindruck, dass man auch in den Entwicklercommunities die eigene Rolle und die Optionen hinterfragen musste.

Die Ergebnisse dieser Findungsprozesse sahen recht unterschiedlich aus. Manche Projekte machten weiter, organisierten sich Unterstützung und Spender. Andere gaben auf. Andere griffen nach den kommerziellen helfenden Händen: Viele Open Source Projekte waren dankbar für die Unterstützung aus der Industrie, etwa in Form von Spenden oder zur Mitarbeit abgestellte Entwickler. Manchmal wurde das ganze Projekt als Produkt in das Unternehmen integriert, wobei nicht selten die Open-Source-Projekte ihre Eigenständigkeit verloren. Nach außen erkennt man so etwas daran, dass neue Features zunächst oder nur für die kommerzielle Version, die „Pro“- oder „Premium“-Version veröffentlicht werden, Bugs in der Open-Source-Variante nicht gefixt werden oder auf der Website der Download zur Open-Source-Variante immer stärker versteckt wird.

Das erzeugt Ärger und Frustration bei den Entwicklern, die für ihre aus idealistischen Gründen geleistete Arbeit, die dann in der kommerziellen Version gewinnbringend verwertet wird, so gut wie nichts bekommen. Am Ende beobachtet man dann die Abspaltung des Open-Source-Projekts unter einem anderen Namen.

In der Softwarebranche hat man solche Effekte oft beobachtet. Dies ist bei MySQL und Maria SQL so gelaufen, bei Open Office und Libre Office und im Bereich der Webapplikationen bei ownCloud und NextCloud. Eine frühe Abspaltung ist bei einem heute wichtigen CMS geschehen. Mambo hieß der Vorläufer von Joomla. Schon 2005 gab es Probleme mit dem Inhaber der Namensrechte, mit der australischen Firma Miro.

Besonders schwer haben es Entwicklungen von sozialen Plattformen auf Open Source Basis gehabt. Zembly sollte eine Anwendung werden, mit der man Facebook, Meebly und Open Social verwalten kann. Friendica, eine Alternative zu Facebook, 2012 noch mit vielen Erwartungen versehen, ist wohl tot.

Ein ähnliches ehemals vielversprechendes Projekt, Diaspora, hat mittlerweile die Versionsnummer 0.6.3.0, die im März 2017 erschienen ist. Diaspora lebt also noch, spielt aber im Web nur eine kleine Rolle.

Abspaltungen und Richtungsstreits kommen aber auch vor, wenn Technologiesprünge oder Paradigmenwechsel passieren. Ein Teil der Community möchte weiter für die angestammten Nutzer da sein und die etablierten Pfade weiterentwickeln, ein anderer Teil will Möglichkeiten neuer Technologien optimal integrieren und bereitstellen. Eine Abspaltung aus diesem Grund dürfte es in der TYPO3-Community gegeben haben. Der neue Branch wurde auf den Namen NEOS getauft.

Programmierer am Bildschirm bei der Arbeit
Software schreibt sich nicht von selbst. Doch die vielen ehrenamtlichen Programmierer in Open Source Projekten bekommen oft nichts für ihre Arbeit

Wer bezahlt für die Entwicklung? Im Zweifelsfall niemand

Nur wenige Open-Source-Projekte gelang eine Balance zwischen kommerziellen Aktivitäten und Erweiterungen, um Geld in die Kasse zu bekommen und der glaubwürdigen Fortführung des Gedankens der freien Software.

SugarCRM und WordPress scheinen diese Herausforderung gut bewältigt zu haben. Auch bei SugarCRM gibt es eine „Enterprise“-Version, aber auch eine in der Praxis einsetzbare „Community“-Version. WordPress ist als Anwendung, die man selbst hostet weiterhin unter einer Open-Source-Lizenz zu bekommen, der kommerzielle Arm von WordPress ist Automattic Inc. mit der Plattform wordpress.com, auf der gehostete WordPress-Blogs betrieben werden.

Die werbefinanzierte Grundversion ohne eigenen Domainnamen und weiterführende Funktionen ist kostenlos. Zum Automattic-Portfolio gehören das Shop-Plugin WooCommerce und die Jetpack-Erweiterung, die WordPress um viele Funktionen und Tracking ergänzt.

Die Webanalyse-Applikation Piwik ist einen ähnlichen Weg gegangen. Auch hier gibt es einen kommerziellen Arm mit mehr Service, Beratung und Support und die für jedermann kostenlos nutzbare Communityversion.

Klar ist, dass Open-Source-Projekte auf Dauer nur funktionieren, wenn eine genügend große Entwicklergemeinde dahinter steht. Einzelkämpfern, die früher noch das eine oder andere Tool nebenbei entwickeln und pflegen konnten, kommen nicht mehr weiter. Die Ansprüche und Erwartungen auf Nutzerseite sind gestiegen. Offensichtlich ist eine Fortführung ohne Internationalisierung kaum möglich.

Der Macher des praktischen Werkzeugs MySQLDumper, ein Backuptool für auch große MySQL-Datenbanken, gab auf. Die Spenden, zu denen er aufrief, waren zu dürftig. Zudem hat die technische Entwicklung den Bedarf etwas überholt. Besonders komfortable, nicht an Entwickler gerichtete MySQL-Frontends gibt es kaum.

Trend: Open-Source-Projekten schaffen sich einen kommerziellen Arm

Man kennt Webanwendungen, die als Open-Source-Projekte gestartet sind, vor allem, um genug Aufmerksamkeit und neugierige Ausprobierer zu finden – die Open-Source-Idee als Teil des Marketings? Pydio.io ist diesen Weg gegangen. Ursprünglich erschien Ajaxplorer als französisches Pendant zu ownCloud, war also dazu entworfen worden, einen eigenen Onlinespeicher aufzusetzen. Später hat sich das Projekt in Pydio umbenannt. Pydio hat zunächst die Ausrichtung und den Zielgruppenfokus geändert. Es gibt zwar noch eine „Open Source Distribution“, doch ohne den kostenpflichtigen Support in Anspruch zu nehmen, wird man das System nur schwer produktiv betreiben können. Pydio hat mittlerweile das klare Ziel, langlaufende Supportverträge abzuschließen, um den Onlinespeicher zu betreiben.

Ein anderer Fall: Der Webmailer OpenExchange heißt so, weil die Software ursprünglich unter einer Open Source Lizenz für Linuxsysteme zu haben war. 2006 hat 1&1 bei den Machern eine Version in Auftrag gegeben, um diesen Webmailer, der zur Groupware ausgebaut wurde, für 1&1-Kunden zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile ist aus Open Exchange ein zu United Internet (1&1) gehörendes Unternehmen mit weltweiter Präsenz. 2012 meldete Heise Online zuletzt die Veröffentlichung einer Community Version. Seither wurde diese Version offensichtlich mehr und mehr versteckt. Man muss recht lange suchen ehe man auf die Serversoftware unter der GPLv2-Lizenz stößt. Das Frontend unterliegt einer Creative Commons Lizenz, darf verwendet werden, aber für kommerzielle Zwecke nicht verändert werden.

Gitarrenkasten, um Spenden zu erbetteln
Irgendwie muss Geld in die Kasse. Von Bewunderung und Ehre kann kein Programmierer leben. Die Nutzer zu Spenden aufzurufen, ist üblich, zeigt aber wenig Erfolg.

Trend zur Kommerzialisierung

Bei allem Idealismus benötigt ein Open-Source-Projekt Geld. Wenn das Projekt nicht irrelevant werden soll, muss Aufwand betrieben werden, der sich nicht immer mit unbezahlter Arbeitskraft von Freiwilligen erbringen lässt. Schon der Besuch von Konferenzen, Mitgliedschaften in Organisationen, Kommunikation allgemein kostet bares Geld und überschreitet die Möglichkeiten Einzelner schnell. Wenn das Projekt eine gewisse Größe erreicht, bewegen sich die nötigen Investitionen Millionenbereich, wie der Versuch von Wikipedia illustriert, eine transparente Suchmaschine aufzusetzen.

Spenden von Anwendern gehen wohl sehr wenig ein. Der Heartbleed-Bug hat die Misere von Open-Source-Projekten öffentlich gemacht. Eine massenhaft eingesetzte Komponente erhielt in einem Jahr gerade mal 2.000 Euro an Spenden. Auch bei Projekten wie WordPress ist die Finanzierung nicht immer einfach gewesen wie uns ein Blogbeitrag von einem Entwickler schon 2009 verdeutlicht hat. Kunden, Agenturen, Hoster – kaum einer klickt auf den Spendenbutton.

Ein offensichtlich nicht unwahrscheinliches Szenario ist, dass sie Open Source Projekte weiter kommerzialisieren. Vielleicht täuscht es, aber bei WordPress ist doch eine dahin weisende Strategie erkennbar: Mit wordpress.com ist der Weg von WordPress (der Anwendung) zumindest marketingmäßig schon geebnet.

WordPress.com ist die Klammer, bei der sich möglichst viele WordPress-Nutzer registrieren, etwa um Jetpack zu nutzen. Noch sind Features bei der Webanwendung WordPress genauso schnell verfügbar wie bei wordpress.com, der gehosteten Variante, die zunächst kostenlos nutzbar ist, wichtige Features wie eine eigene Domain aber nur per kostenpflichtigem Upgrade zur Verfügung stellt.

Sicher könnte WordPress künftig mehr Druck auf Nutzer und Distributoren wie Hoster ausüben, indem man softwareseitig Vorkehrungen trifft, die dafür sorgen, dass die Anwendung nur in bestimmten, vielleicht zertifizierten Umfeldern installierbar ist, für die das Unternehmen, das ein WordPress-freundliches Umfeld bereitstellen will, eine Lizenz braucht oder zumindest Bedingungen schaffen muss, die WordPress vorgibt. Begründen kann man dies leicht damit, dass dies aus Gründen sicherzustellender positiver User Experience, Performance und Security erfolgen müsse. Gründer Matt Mullenweg hat so etwas in Zusammenhang mit https in seinem Blogpost schon angekündigt.

Kommentar verfassen