Kommt die Nischengesellschaft wieder?

Die Ausfrage diese Post war, wie es sich auf die Gesellschaft im Sinne von Verhaltensänderung ihrer Mitglieder auswirkt, wenn alle sich bewusst sind, permanent mit allen Internet- und Mobile-Aktivitäten überwacht werden zu können.

Gar nicht ist die eine Hypothese, die man öft hört und die sich vielleicht mit der Phrase „ich habe nichts zu verbergen“ pointieren lässt.

Meine These war, das Kommunikationsverhalten ändert sich langsam, aber nachhaltig, was gesellschaftliche Auswirkungen haben kann. Es bilden sich womöglich Nischen, so wie man Nischen in autoritären, hoch-kollektivistischen Gesellschaften kennt.

Eine solche Nische könnte das sein, was Telepolis mit „Darknet“ bezeichnet.

UPDATE 29.7.2013 – Telepolis Beitrag zum „Darknet“
Es gibt keine eindeutige Definition davon, was man mit „Darknet“ meint. Letztendlich scheinen solche Zuschreibungen wie „verschlüsselt“, „nicht durchsuchbar“, „abgetrennt vom ’normalen‘ Internet“.

Zitat:

Einem notwendigen, verlässlichen, rechtsicheren, vertrauenswürdigen
kommerzialisierten und überwachten Teil (dem „Internet“) und einem
unzuverlässigen, rechtlosen, anonymen, dafür freien und nicht
zensierbaren Teil (dem „Darknet“, optimalerweise so konstruiert, das
seine Nutzung abstreitbar ist).

UPDATE 22.07.2013 – der Freitag hat eine ähnliche Geschichte veröffentlicht.
http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/uns-steht-eine-neue-netzguerilla-bevor 

Der Autor sieht aber eher eine Art Radikalisierung, weniger einen Rückzug und nimmt Bezug auf Cypherpunks von Julian Assange, Jacob Appelbaum, Jérémie Zimmermann und Andy Müller-Maguhn:

Nur „eine Elite von High-Tech-Rebellen“, heißt es in Cypherpunks, sei in der Lage, sich dem „Moloch Überwachungsstaat“ zu entziehen. 

und weiter:

Vielleicht müssen wir das Internetzeitalter künftig in eine Zeit vor und
in eine Zeit nach Snowden einteilen. Die Zeit der Happenings und des
spielerischen Umgangs mit dem Netz ist jedenfalls vorbei. Den
Netzpolitikern, die seit Jahren mit zäher Kleinarbeit und demokratischen
Mitteln für ein freies Internet kämpfen, erwächst daraus eine neue
Verantwortung: Sie müssen den radikalisierten Gruppen – die sich mit
Kleinkram nicht mehr abspeisen lassen werden – eine überzeugende
Alternative anbieten.

Warum eigentlich passiert gerade keine Revolution? Warum lassen sich die Untertanen die Überwachung offensichtlich gefallen und der Regierung jede Nicht-Aktivität in dieser Angelegenheit durchgehen? Das fragt sich unter anderem Jakob Augstein in seiner Rubrik auf Spiegel online.

Faulheit, Bequemlichkeit, sagen die einen. Fehleinschätzung, sagen andere, zum Beispiel Sascha Lobo. Es ginge um nichts geringeres als den freien Willen, so Viktor Mayer-Schönberger in der Zeit.


Wir fühlen uns nicht durch Algorithmen bedroht, weil wir zur Zeit kein Unterdrückungsregime sehen, das dieses potentielle Machtinstrument gegen die Bevölkerung einsetzen will. Dennoch ist es sehr erstaunlich, dass die Haltung „Ich habe nichts zu verbergen“ oder „ist doch nicht schlimm“ im gleichen Kulturkreis der Häuserverpixeler artikuliert wird. Die Deutschen sind doch eigentlich alles andere als transparent, wenn es um Gehalt oder Reichtum geht. Das darf doch keiner wissen, höchstens erahnen, um den gesellschaftlichen Status zu proklamieren (man trägt Rolex, fährt einen SUV). Biedermann und die Brandstifter.

Überwachung riecht man nicht und sieht man nicht

Außerdem haben wir Menschen keine Sinne dafür, wir können Ursache und Folge der Entwicklung nicht abschätzen, weil diese zeitlich weit auseinanderliegen und wenig linear zusammenhängen.
Manche reagieren darauf mit Angst, andere – offensichlich die meisten – mit Ignoranz. Hätten wir Sinne für die Gefahr der Überwachung, zum Beispiel, dass schwarzer, übelriechender Qualm aus der Tastatur austritt, wir würden sofort reagieren.

Reaktion wird erfolgen

Ich denke, die internetnutzende Bevölkerung wird reagieren, so wie einige (wenige) anfangen, ihre Daten zu verschlüsseln, US-Anbieter zu meiden oder sich sogar Gedanken machen, inwiesweit sie ihren Internettraffic beeinflussen können. Ein Tool zum Tracen und Visualisieren der Route gibt es bei Opendatacity.de

Wir wissen jetzt, dass viele Stellen mithören können, algorithmisch, auch nachträglich. Lässt uns das kalt? Schleichend aber sicher werden wir die naive Begeisterung an Social Media und Smartphone Apps verlieren, weil wir wissen, die Beschäftigung damit kann gegen uns verwendet werden, eines Tages vielleicht.

Privates wird wieder privater. Wir bloggen nicht mehr über kritische Einsichten, wir teilen keine schwer verständlichen Stimmungen oder Bilder mehr, weil wir den Adressatenkreis nicht mehr kennen und abschätzen können.

Nischengesellschaften

Wir unterscheiden wieder: Hier das Öffentliche oder Halböffentliche, hier das Private. Die Frage ist nur – wie findet das Austauschen des Privaten statt? Das Öffentliche wird Kommunikation zweiter Klasse. Nischengesellschaften entstehen, vielleicht wie damals in der DDR mit der allgegenwärtigen Überwachung durch die Stasi und ihre IMs, vermeintliche Freunde und Kollegen. Jeder Brief, jedes Telefonat, jedes Treffen überwacht.

Ende von Social Media?

Wahrscheinlich bilden sich Zufluchten und Zirkel, in der es keine elektronische Kommunikation gibt. Für die Social Community Idee wird dies ein heftiger Rückschlag werden. Die Idee, Einsichten, Ideen, Erfahrungen mit einem ausgesuchten Kreis zu teilen, wird leiden. Social Media Plattformen werden komplett zur Promotionmaschine, nicht weiter. Schade eigentlich.

Meetings statt Videokonferenzen

Firmen werden wieder auf das direkte Gespräch setzen, auf Besprechungen, bei denen Datenbrillen verboten sind. Videokonferenzen, teilweise als das Heil gegen teuere Geschäftsreisen gefeiert, werden eine Renaissance erleben und dem Staat traut man wieder ein Stück weniger.

Privatleute treffen sich in sehr privaten Räumen. Das muss geplant und anvisiert werden. Big Brother sieht die Aktivitätszunahme, kennt aber nicht mehr den Inhalt. Ein menschlicher Spion müsste los.

Subnets und private Netze

Daneben, neben dem großen Kommerzweb entstehen neue Netze dadurch, dass sich Enthusiasten oder Untergrundaktivisten zusammenschalten. Direct Connect könnte ein Beispiel dafür sein.

Es wird eine Revolution stattfinden, aber keine schnelle. Keine, die von heute auf morgen Spuren hinterlässt und Auswirkungen augenfällig macht. Die Begeisterung für Cloudcomputing wird schwinden, wir setzen wieder auf installierte Software und physikalisch verfügbare Datenträger und geteilt wird nicht mehr. Das könnte der gerade aufkommenden Share-Economy einen gehörigen Dämpfer versetzen.

Die Umstellung dauert

Das dauert deswegen so lange, weil man sich erst wieder umstellen muss, doch der Anfang ist gemacht.