„Digital angekommen“?

Die Digitalisierung sei „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“. Das ist so eine Worthülse wie „man muss die Leute abholen, wo sie sind“ – schön in einem Meeting, in dem gerne Bullshit-Bingo gespielt wird und well-feeling angesagt ist. Sagt aber leider gar nix. „Digitalisierung“ ist als Begriff komplett unscharf und kann in alle Richtungen gedeutet werden, so wie auch „Industrie 4.0“.

Was wirklichen helfen könnte, AI zu verstehen: Es selbst auszuprobieren.

Die erwähnte Worthülse geht zurück auf eine Studie, die vorgestellt worden ist – und man vermutet es schon beim Hören – es ist ein politisches Ding. Die Studie heißt „d21 Digitalindex 2018-2019“ und ist vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert worden. Peter Altmair hat dann auch die Ergebnisse präsentiert.

Dabei sind „Premiumpartner“ wie Allianz, Barmer, Fujitsu, Landesanstalt für Medien NRW,… die Liste ist lang. In dieser Studie wird versucht, einen Digitalindex zu etablieren. Das läuft über Faktoren wie Zugang, Nutzungsverhalten, Kompetenz, Offenheit. Die Studienherausgeber machen das auch schon ein paar Jahre lang und können daher Zeitreihen aufstellen. Demnach ist der Digitalindex gestiegen, auf 55 von maximal 100. Juchchu.

Die Initiative „D21“ wollte wissen, wie „digital“ die Gesellschaft ist und hat erneut einen Studienbericht vorgelegt. Man fragt einige Kompetenzen und Wissensgebiete ab. Daraus wurde ein „Digitalindex“ konstruiert. Die
https://initiatived21.de/publikationen/d21-digital-index-2018-2019/ .

Fast schon typischerweise für einen solchen Ansatz werden da Nutzer-Prototypen erstellt: Digitale Vorreiter, digital Mithaltende, digital Abseitsstehende. Dann wird das auch noch aufgedröselt nach Alter, Regionen und andere soziale Gruppen.

Digitalindex

Insgesamt ist hier der digitale oder nicht digitale User als Nutzer konstruiert, finde ich, als Konsument in der typischen Denke, als Objekt, der der digitalen Welt ausgesetzt ist und die „Herausforderungen“ bewältigen muss, die Ängste und den Datenschutz. Und der User, der gehegt und beschützt werden muss, vielleicht auch bevormundet werden muss, weil er alleine nicht klar kommt oder weiter kommt.

Das wäre meine Fundamentalkritik an diesem Ansatz. Ich will aber gar nicht so kritisch sein. Es ist ja im Grunde gut, dass man da forscht und den Begriffen Bedeutung gibt, aber: Es fehlt mir dabei die Rolle der Akteure, der Chancenergreifer. Es ist natürlich idiotisch zu glauben, jeder könnte jetzt ein Startup machen und reich werden. Aber es sollten eben nicht nur Ängste thematisiert werden, sondern es sollte klar gemacht werden, welche Änderungen sich ergeben werden, ganz neutral. Nicht versprechen, keine Angst, wir regeln und reglementieren das schon, kümmere dich um nix, und die Rente ist sicher. So wird es eben nicht mehr weitergehen.

Interessant ist, finde ich, der Faktor „Kompetenz“. Hier wurde abgefragt, mittels Fragebogen, ob man vorgegebene Begriffe kennt.

Digitale Kompetenz

Ingesamt bleibt diese Studie dabei sehr an der Oberfläche. Tja. Digitalisierung – was ist das? Der eine versteht im Bildungsbereich darunter, dass Smartboards im Klassenzimmer installiert werden und iPads verwendet werden, der nächste assoziiert damit Onlinebanking. Wieder ein anderer versteht darunter sowas wie Netflix oder bestellen bei Amazon.

Ich denke, man müsste da heute schon weiter greifen, tiefer gehen. KI oder AI sind ja die Begriffe, die vielen Angst machen. Was passiert da, wie funktioniert das?

Das ist leider das Problem der eigenen Erfahrung. Wie kommt man an sowas ran wie AI – künstliche Intelligenz? Ich meine, so um die Jahrtausendwende, vielleicht etwas früher, konnte man sich einen PC kaufen (oder den Vorläufer von PCs als Bausatz) und man konnte anfangen, selber zu programmieren. Oder man kann sich eine Domain registrieren, ein bisschen Webspace buchen, eine Website machen, einen eigenen Onlinespeicher aufsetzen, vielleicht auch ein Forum. Jeder konnte das und jeder kann das. Das ist erstaunlicherweise in Deutschland gerade auch im internationalen Vergleich recht günstig (seinerzeit hatte sich die Politik fast komplett rausgehalten, zum Glück).

Mit AI ist man da nicht mehr so nah an der eigenen unmittelbaren Erfahrung. Man liest mal, dass AI-Anwendungen den Weltmeister in Go schlagen oder dass IBM Watson Jeapardy gewinnen kann – aber wie das funktioniert, kann man höchstens theoretisch irgendwo nachlesen.

Warum? Weil AI auf maschinellem Lernen basiert und das setzt zwei Dinge voraus: Analysemethoden und viele, viele Daten. Als einzelner Mensch und auch als Unternehmen hat man oft gar nicht so viele Daten, dass man da sinnvollerweise ML-Analysen machen kann, Modelle findet und Prognose ableitet.

Wenn man sich überlegt, ausgehend vom persönlichen Bereich: Was hätte man da an analysierbaren Daten? Vielleicht Finanzdaten, also Kontobewegungen, Ausgaben und Einkünfte vielleicht, die man für sich sammeln kann und dann in irgendeiner Form einer Analyse unterzieht. Oder Gesundheitsdaten wie Herzschlag, Gewicht, Blutdruck – so etwas gibt es bereits in Produktform. Das Highlight war bisher, dass die Apple Watch helfen kann, Unregelmäßigkeiten im Herzschlag zu finden und so Schädigungen des Herz-Kreislaufsystems entdeckt.

Oder sehen wir Spracherkennung und Sprachausgabe an: Viele von uns nutzen ja Alexa oder Siri und sind genervt von den Unzulänglichkeiten. Es gibt ein paar AI Anwendungen, die wirklich helfen im Alltag. Gewicht, Blutdruck, Puls, Blutzuckerspiegel – das lässt sich alles ganz gut messen und erfassen – man kann auch Schritte ganz gut zählen, körperliche Aktivität im allgemeinen – problematisch ist das noch mit der Nahrungsaufnahme. Das muss mal alles von Hand eingeben und das ist extrem lästig.

Also: Was kann man als jemand tun, der sich mit AI beschäftigen will und nicht nur soziologisch oder risikoabwägend diskutieren will, sondern irgendwann mal was damit machen will?

Ideen – woher bekommt man Daten?

Eine eigene Ai-Anwendung aufzubauen, ist natürlich schon noch was anderes als ein WordPress-Blog zu betreiben. Mal so als Idee in den Papierkorb gesprochen: Man könnte seine eigenen Transaktionen datenmäßig sammeln, also Einnahmen und Ausgaben bis runter zum Kassenzettel aus dem Supermarkt oder auch die Tankquittung. Dies alles führt man einem eigenen persönlichen Datensee zu und kann dann sehen, was da so drinsteckt in den Daten.

Man könnte damit zum Beispiel eine Art Finanzplanung machen oder man könnte versuchen, das Einkaufsverhalten zu optimieren, weil man ja feststellt, was man braucht und wie viel man ausgibt dafür. Dann könnte man versuchen, günstigere Bezugsquellen zu finden oder Angebote anderer Supermärkte. Man müsste vielleicht kaufda.de oder auswerten – leider darf man die Webseiten der Supermärkte nicht automatisiert crawlen – das steht da oft in den AGB.

Aber man kann mit eigenen Algorithmen vielleicht die Webseiten maschinell lesen. Produkte und Preise in eine Datenbank schreiben. Vielleicht – nur eine Idee…

Das wäre überhaupt Service seitens der Händler: Statt Berge von Papier zu bedrucken und als Prospekt in den Briefkasten zu stopfen, könnten sie Datenfeeds ihrer Produkte und Angebote bereitstellen. Jeder hätte Zugriff auf eine schöne JSON-Datei des Anbieters, in der er seine Produkte und Dienste offeriert und man hätte mehr Transparenz.

Also: Machbar wäre da vieles, aber bevor man eine App baut, muss man sich selber ein paar Dinge beibringen. Und das geht auch teilweise zumindest mit kostenlos verfügbaren Ressourcen. Das ist das Schöne am Web. Blöderweise sind viele dieser Ressourcen nicht auf deutsch – die verwendete Sprache in diesen Dokumentationen ist englisch. Ich denke, in Deutschland käme keine Institution auf die Idee, das Thema KI groß aufzuziehen, zu erklären und mehr oder weniger kostenlos zur Verfügung zu stellen. Google macht in Sachen AI da aber einiges.

Was die GAFA-Konzerne so machen

Google und AI: https://ai.google/

Und in diesen Momenten merkt man, schön, dass es solche Services gibt. Das aktuelle Narrativ ist ja, Gafa-Konzerne machen alles kaputt , aber ich denke, das stimmt nur sehr begrenzt. In Europa und Deutschland haben wir nicht viel auf die Reihe bekommen, aus diversen Gründen – das ist nicht monokausal.

KI-Experte und Digital-Investor Kai-Fu Lee war einer der Speaker bei DLD 2019 in München und wurde von Rebecca Blumentstein (NYT) interviewt.
https://dld-conference.com/videos/nnZ7gr-xHSQ

Kai-Fu Lee auf Amazon: https://amzn.to/2D3BwQa

Deutschland nicht so weit vorne

Entsprechende Selbstlern-Plattformen auf Deutsch muss man lange suchen.

In Deutschland wird AI derzeit auch in Zusammenhang mit Algorithmenethik diskutiert. Hier sind auch viele nativ deutsche Organisationen Ziel von Kritik. Eines der bekannteren Projekte aus diesem Bereich ist Open Schufa.
https://algorithmwatch.org/de/openschufa-warum-wir-diese-kampagne-machen/

Was die Schufa dazu sagt:
https://www.schufa.de/de/ueber-uns/themenportal/detailseite/themenportal-detailseite.9856.jsp

Vielleicht erinnern sich noch einige an die Zeit bevor Suchmaschinen so gut funktioniert haben. Am Anfang gab es nicht mal Crawler oder Spider. Man hat mit Redakteuren angefangen, Webseitenkataloge zu erstellen, Seiten zu kategorisieren und zu verschlagworten. Yahoo hat so begonnen. Erst später gab es Patente, die beschrieben haben, wie Spider auf einer Website starten und dann über die Hyperlinks von Seite zu Seite und von Domain zu Domain springen. Alles automatisiert.

Plötzlich hat man keine Portale und Kataloge mehr gebraucht, sondern konnte nach Begriffen, Keywords, suchen. Und dank Pagerank-Algorithmus, ein Patent von Google, konnte man relevante Treffer von irrelvanen unterscheiden.

Ähnliches gilt auch für Social Media im allgemeinen und Facebook im besonderen: Menschen wollen sich untereinander vernetzen und kommunizieren. Facebook hat das Bedürfnis adressiert und das Problem gelöst; es gab gab deutsche Copycats, die eigentlich alle verschwunden sind.

Fazit

In Deutschland kennt man zwar die Begriffe, die mit dem Buzzword Digitalisierung assoziiert werden und kann dem teilweise eine Bedeutung zuordnen. Leider fehlt die Möglichkeit, tiefer zu gehen. Wie nähert man sich – wenn man nicht gerade beruflich oder als Lobbyist mit dem Thema zu tun hat – dem Thema AI (künstliche Intelligenz).

? Zu diesem Thema gibt es eine Episode aus dem Menschen Medien Technologie-Podcast

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