Ich bin mir nicht sicher, vielleicht beschreibt Sascha Lobo in seiner Spiegel Online – Kolumne („Sie haben die Zukunft verbockt“) den Digital Divide in Deutschland: Das „Sie“ ist grammatikalisch gesehen die zweite Person, Höflichkeitsform. Du, ich, Sie, wir alle haben die digitale Zukunft verbockt, weil wir alles zuließen. Vermutlich stimmt das nicht ganz: Ein kleiner Teil der Gesellschaft weiß sehr gut, mit dem Digitalen umzugehen, weiß wie man sich netzwerkweit Gehör verschafft, Investitionsgelder einsammelt, Apps programmiert und der große Teil weiß es einfach nicht. Und will es auch nicht wissen.
Inzwischen haben wir es uns in der Rolle der Web- und Mobilkonsumenten bequem gemacht. Die digitalen Märkte werden von amerikanischen, global agierenden Unternehmen dominiert: Amazon, Google, Apple, Microsoft sind nur die, die man auch als Konsument kennt. Netflix passt wunderbar dazu.
Wir sind skeptisch gehen die Digitalwirtschaft, nicht erst seit der Überwachungsaffaire. Erinnern wir uns noch an den „Neuen Markt“ vor der ersten Dotcomblase, als man uns mit der T-Aktie, Kinowelt, Letsbuyit und dergleichen abgekocht hat? Einige der Unternehmer mussten damals ins Gefängnis, andere lehren an Unis. Die Digitalwirtschaft hat einen schlechten Ruf bekommen (die „Geldverbrenner“): Kim Dotcom Schmitz und Michael Kölmel haben das Bild geprägt, zweifelhafte Abmahnadvokaten wie der selige von Gravenreuth haben die Stimmung nicht gerade verbessert. Digital ist unseriös, schafft keine Werte, das hält sich bis heute. Das ist drin in den Köpfen.
Natürlich waren die Angebote, die mehr und mehr aus dem amerikanischen Raum kamen, verlockend, gut zum Zeitvertreib, funktionierten besser, hatten mehr Features, ohne so „boring German“ daher zu kommen.
Es ist ja nicht so, dass wir in Deutschland gar keine digitalen Player haben. Die Digitalwirtschaft hat sogar ein paar milliardenschwere deutsche Unternehmen hervorgebracht. Andere Unternehmen waren besser und haben die hiesigen Entwickler und Vermarkter abgehängt.
Dennoch empfinde ich so eine seltsame, gesellschaftlich verankerte Mischung als Larmoyanz, Verdrängung, Zaudern und Selbstgerechtigkeit was die Digitalwirtschaft angeht, auch und gerade bei den Eliten.
Man fabuliert allen Ernstes von „Zerschlagung“ von Google, dämonisiert die teueren Apple – Produkte (würde Siemens die produzieren, würden sie vermutlich das doppelte kosten und halb so gut sein). Man beklagt, dass Amazon unsere schönen inhabergeführten Innenstadtlädchen überflüssig macht, bestellt aber seine Sachen aber auch lieber One Click – ist ja billiger. Ein Spiegelartikel, der einige Silicon Valley Firmen zu finsteren Weltherrschern stilisiert, kommt in diesem Klima gut. Industrie- und Handelskammern halten es für eine Innovation, wenn eine neue Webseite entsteht, von der man die IHK-Flyer zur Existenzgründung als PDF herunterladen kann. Derweil veröffentlichen Apple und Google ihre Ideen und Projekte, wir staunen und beschweren uns jämmerlich, dass „die Amis“ sich den ganzen Digitalmarkt unter den Nagel reißen.
Die politische Kaste – egal auf welcher Ebene – darf man ganz sicher als technologie- und digitalferne Schicht bezeichnen.
Über die Figur Oettinger überhaupt noch nachzudenken, ist müßig. Aber es oettingert überall: Im Gütersloher Bürgermeisterwahlkampf tritt eine Kandidatin an, die Digitalisierung als Chance zur Weiterentwicklung der öffentlichen Verwaltung als Wahlkampfthema besetzen wollte. Abgesehen davon, dass die meisten jurististisch oder verwaltungstechnisch sozialisierten Zuhörer bei Veranstaltungen nicht wissen, wovon sie spricht, gelten solche Visionen als „abgehoben“. Die öffentliche Diskussion drehte sich wochenlang um Bushäuschen aus Holz, die man im Stadtgebiet aufgestellt hat.
Außerdem würde ich in Deutschland gerne einmal eine Fachveranstaltung besuchen, bei der es um Onlinemarketing oder Webdesign geht, bei der man nicht mindestens einen Fachanwalt reden lässt.
Wie kommen wir da wieder heraus? Momentan fehlt die Phantasie. Die Großverlage tun das, was sie am besten können. Sie ergehen sich in Lobbyarbeit und lassen sich disfunktionale Gesetze schreiben. Denken wir an das Leistunsgschutzrecht. Wir lassen wir uns lieber alles kaputt regulieren und zittern weiter, wenn man uns einbleut, wie gefährlich es im Internet ist und wie dringend wir neue Gesetze brauchen. In diesem Punkt stimme ich Sascha Lobo zu. Niemand wehrt sich gehen Vorratsdatenspeicherung, Überwachung, hohe Kosten und Absicherung der Pfründe für wenige.
Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, so würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.
Dieses Zitat wird Martin Luther zugeschrieben. Analog dazu könnte man vielleicht formulieren: So lasst uns noch eine Mail an unseren Bundestagsabgeordneten schicken, um gehen die Vorratsdatenspeicherung zu protestieren.
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